Aufführungsdatenbank

Die Walküre

Besetzung 2010

Musikalische Leitung

Christian Thielemann

Regie

Tankred Dorst

Bühnenbild

Frank Philipp Schlößmann

Kostüme

Bernd Skodzig

Dramaturgie

Norbert Abels

Siegmund

Johan Botha

Hunding

Kwangchul Youn

Wotan

Albert Dohmen

Sieglinde

Edith Haller

Brünnhilde

Linda Watson

Fricka

Mihoko Fujimura

Gerhilde

Sonja Mühleck

Ortlinde

Anna Gabler

Waltraute

Martina Dike

Schwertleite

Simone Schröder

Helmwige

Miriam Gordon-Stewart

Siegrune

Wilke te Brummelstroete

Grimgerde

Annette Küttenbaum

Rossweisse

Alexandra Petersamer

Termine

  • Mittwoch, 28. Juli 2010
  • Montag, 09. August 2010
  • Samstag, 21. August 2010

Von Norbert Abels, 2006

Anmerkungen zu Tankred Dorsts Inszenierung des „Rings der Nibelungen“

Die Walküre

Zu Wagners „Der Ring des Nibelungen“, als Gesamtwerk uraufgeführt 1876 in Bayreuth, führen viele Wege aus Dorsts Welt. Sein Merlin scheitert mit seinen Plänen, verstrickt sich immer tiefer in die Widersprüche der menschlichen Historie, verliert den Glauben an die Utopie und flieht in die Zeitenthobenheit des Naturzyklus. Zu tun hat er es mit den obligatorischen Ingredienzien des Schiffbruches: mit Egoismus, Lieblosigkeit und Machtgier.

 

Die Liebe, bei Wagner „das ewig Weibliche selbst“, zieht sich aus dem Dickicht der Geschichte zurück. Wie am Ende der „Götterdämmerung“ wird auch in „Merlin“ die Welt beständig fahler. Dorsts Wort über die Wesen des verglimmenden Zwergplaneten kann durchaus als Einführung in den „Ring“ entliehen werden: „Es ist nicht erwiesen, inwieweit sie das Ende des Planeten voraussagen oder sogar herbeiführten. Die wenigen Spuren ihrer Existenz bleiben rätselhaft.“

 

Seit 26 Jahren umkreist Dorst die Merlin-Welt, hält sein „wüstes Land“ in Bewegung, setzt erst vor kurzem mit der modernen Semi-Oper „Purcells Traum von König Artus“ diese unendliche Annäherung fort. Die „Walküre“ beginnt mit einem Unwetter, worin sowohl die äußere als auch die innere Aufgewühltheit sehr expressiv ertönt. Bevor Siegmund und Sieglinde sich erstmals in die Augen blicken – Wagners dichte Blickdramaturgie gelangt in diesem Werk auf ihren Höhepunkt -, kracht und blitzt es. Heutige Menschen haben Schutz gesucht in einem zum Abbruch verurteilten, im Wald gelegenen Anwesen. Ein Telegrafenmast hat das Dach zerschlagen. In ihm steckt – zunächst noch unsichtbar – Notung, das Schwert. Nach dem Abklingen des Gewitters verlassen die Schutzsuchenden die Villa. Zurück bleibt in der Mitte ein Stuhl, auf dem Sieglinde sitzt: ein Bild der Melancholie, der Erwartung, aber auch der Gefangenschaft. Sieglinde verliert ihre Trance auch nicht, als Siegmund, der noch unerkannte Bruder, die Szene betritt. Hundings Soldateska, versehen mit abnehmbaren Hundeköpfen – sie erinnern an den ägyptischen Totengott -, okkupiert diesen Raum mit martialischer Gebärde. Mit einem Blick wird Siegmund das ganze Elend der jungen Frau klar.

 

Das zweite Bild führt an den Rand einer heutigen Megastadt. In der Mitte liegt ein Felsen, der ein Geheimnis birgt. Im Hintergrund erscheinen die porös gewordenen Petrefakte der Geschichte, die einst großen Welteroberer und Weltzerstörer, auch die Weltdenker. Wir blicken auf die Müllhalde der Historie, auf Denkmäler, Reiterstandbilder, Büsten und Reliefs. Wir blicken auf das, was sich einst als das Große und Unvergängliche aufspreizte. Wir erleben die Relativität aller Absolutheitsansprüche im Anblick ihrer Hinfälligkeit. Vor solchem Hintergrund spielt sich die traurige Geschichte des Gottes Wotan ab. Nietzsche hat uns allen die Frage gestellt, wo unter uns sich die Menschen befinden mögen, die das göttliche Bild Wotans sich nach ihrem Leben zu denken vermögen „und welche selber immer größer werden, je mehr sie, wie er zurücktreten?“ Und mehr noch. Gestellt werden muss an uns alle die Frage: „Wer von euch will auf Macht verzichten, wissend und erfahrend, dass die Macht böse ist?“

 

Auf dem Heldenfriedhof der Geschichte – ganz in der Nähe erblicken wir zwei wiederum ahnungslose Heutige, ein verliebtes Paar mit Fahrrad – erfährt der Gott in einem Simultanvorgang die Vergänglichkeit der Größe. Das „Einst“ der Vergangenheit und das „Einst“ der Zukunft fallen im Jetzt für einen kurzen Zeitraum zusammen.

 

Der Felsen in der Mitte bewegt sich und Wotan erblickt seinen eigenen petrifizierten Kopf; der Kopf des großen Gottes, gerammt in den Grund. Gleichzeitig betritt mit langsamsten Bewegungen, zerbrochene Speerspitzen in den Händen, ein Doppelgänger die Bühne: Wotans Zukunft in der Gestalt des Wanderers, der aus dem Mythos aussteigen will, der unendlich müde geworden ist und der nur eins zu fürchten hat: dass es das Ende niemals geben wird.

 

Dort, bei den Statuen, spielt sich viel ab in der „Walküre“. Die streitbaren Töchter des Gottes treten später in einem Steinbruch auf. Vielleicht lieferte er das Material für die Steinheroen... Auch er ist ein Unort, ein Müllplatz mit Utensilien des Heute, die im letzten Akt dann auch die Funktion der Vorhersehung erhalten; genau dann, wenn der Vater sein monströses Amt ausübt und die Tochter auf einer herumliegenden Palette zur lebenden Statue macht.

Der Ring des Nibelungen

Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend

 

Erster Tag: Die Walküre

In drei Aufzügen

Libretto: Richard Wagner
Originalsprache: Deutsch
Uraufführung: 26. Juni 1870 München

Personen

Siegmund (Tenor)
Hunding (Bass)
Wotan (Bass)
Sieglinde (Sopran)
Brünnhilde (Sopran)
Fricka (Mezzosopran)
Gerhilde (Sopran)
Ortlinde (Sopran)
Waltraute (Mezzosopran)
Schwertleite (Alt)
Helmwige (Sopran)
Siegrune (Mezzosopran)
Grimgerde (Alt)
Rossweisse (Mezzosopran)

Handlung

Ort und Zeit der deutschen Mythologie.

Vorgeschichte

Wotans Vereinigung mit Erda entstammen neun Töchter, die Walküren, die den Kriegshelden im Kampf zur Seite stehen und die Gefallenen nach Walhall zu ewiger Wonne geleiten. Wotans Lieblingskind unter ihnen ist Brünnhilde. Doch den Göttern droht Gefahr von Alberich, der auf die Wiedererringung des Macht verleihenden Rings lauert. Er hat zur Vollbringung seiner Rache an Wotan einen noch ungeborenen Sohn gezeugt, weshalb der Göttervater selbst mit aller Macht nach der Rückerlangung des Rings streben muss, den er den Riesen für den Bau der Götterburg überlassen musste.

Fafner, alleiniger Herr des Horts und des Rings, hat sich in einen Drachen verwandelt. So hütet er den Ring, den ihm Wotan aufgrund seines Vertrags nicht nehmen darf. Nur ein freier Held, der nicht durch die Göttergesetze gebunden ist, wäre in der Lage, den Ring zurückzugewinnen. Deshalb hat Wotan mit einer Menschenfrau das Geschlecht der Wälsungen, das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde, gezeugt. Hier setzt die Handlung ein.

Erster Akt

In einem furchtbaren Unwetter sucht Siegmund in Hundings Hütte Zuflucht. Sieglinde reicht dem Erschöpften einen erfrischenden Trank. Seltsam fühlen sie sich zueinander hingezogen. Als Hunding heimkehrt, berichtet Siegmund dem Misstrauischen sein trauriges Schicksal: Als er mit dem Vater von der Jagd heimkehrte, fand er das Haus verbrannt, die Mutter erschlagen und seine Zwillingsschwester verschwunden. Im Kampf mit einer feindlichen Sippe wurde er vom Vater getrennt, den er nicht mehr fand. Nun ist er waffenlos auf der Flucht. Da gibt sich Hunding selbst als Angehöriger dieser Sippe zu erkennen; im eigenen Haus hat er den Feind gefunden.

Für die Nacht schützt Siegmund das heilige Gastrecht, doch morgen wird er der Rache des Stamms verfallen sein. Allein geblieben ruft Siegmund nach seinem Vater Wälse, der ihm für höchste Not eine Waffe versprochen hatte (»Ein Schwert verhieß mir der Vater«). Da vermeint er, im Stamm einer riesigen Esche, die das Gefüge des Hauses stützt, den aufleuchtenden Griff eines Schwerts zu erblicken. Sieglinde kommt zurück. Sie hat Hunding einen betäubenden Schlaftrunk bereitet und weist Siegmund auf die Waffe hin. Sie erzählt ihm ihre eigene freudlose Geschichte (»Der Männer Sippe saß hier im Saal«). Ohne Liebe sei sie mit Hunding vermählt worden, doch bei der Hochzeitsfeier sei ein Greis erschienen und habe jenes Schwert in den Stamm der Esche gestoßen. Nur dem Stärksten, der es herausziehen könne, sei es bestimmt. In einer seltsamen Gefühlsaufwallung erkennen sie in dem Greis ihren gemeinsamen Vater Wälse, der die Waffe seinem starken Sohn, der für ihn das Erlösungswerk vollbringen soll, vorbehalten hat. Der Frühling erfüllt die Hütte mit hellem Licht (»Winterstürme wichen dem Wonnemond«). Siegmund gibt sich Sieglinde zu erkennen. Immer heftiger finden sie zueinander (»Deiner Augen Glut ... Wehwalt heißt du fürwahr? ... Siegmund heiß ich«). Mit gewaltiger Kraft zieht er das Schwert aus dem Stamm und nennt es »Nothung«. In wilder Leidenschaft eilt das Paar in den blühenden Frühling.

Zweiter Akt

In einem wilden Felsengebirge erteilt Wotan seiner Lieblingswalküre Brünnhilde den Auftrag, Siegmund in seinem bevorstehenden Kampf mit Hunding zum Sieg zu verhelfen. Fricka aber, die Hüterin der Ehe, hat Hundings Klage vernommen und fordert von Wotan Sühne für Ehebruch und Blutschande. Er muss ihr schwören, den Befehl an Brünnhilde zu widerrufen. In tiefer Resignation erzählt er seiner Lieblingstochter vom drohenden Ende der Götter, von Erdas Weissagung, von Alberichs noch ungeborenem Sohn und von seiner Selbsttäuschung über Siegmunds Natur als freier Held. Er selbst hat ihn ja durch das in der Not gegebene Schwert geschützt (»Als junger Liebe Lust mir verblich«). Nur das Ende sehnt Wotan noch herbei. Er befiehlt Brünnhilde, Siegmund im Kampf gegen Hunding unterliegen zu lassen. Ihrem Widerspruch setzt er die Drohung schwerer Strafe entgegen.

Auf der Flucht vor Hunding bricht Sieglinde erschöpft zusammen. Während Siegmund sie liebevoll bettet, erscheint ihm Brünnhilde, um ihm den baldigen Tod zu verkünden (»Siegmund, sieh auf mich«). Trotzig erklärt er, sich von Sieglinde nicht trennen zu wollen, eher wolle er sie töten. Da erbarmt sich Brünnhilde des unglücklichen Helden und verspricht ihm gegen Wotans Gebot Hilfe im Streit mit Hunding. Doch als sie Siegmund im Kampf mit ihrem Schild deckt, tötet ihn Wotan selbst mit seinem Speer. Durch eine verächtliche Handbewegung lässt er auch Hunding tot zu Boden stürzen. Dann eilt er der ungehorsamen Tochter nach, die mit Sieglinde die Flucht ergriffen hat.

Dritter Akt

Auf dem Gipfel des »Brünnhildensteines« versammeln sich alle Walküren, um gefallene Helden nach Walhall zu geleiten (»Walkürenritt«). Da naht Brünnhilde mit der willenlosen, verzagten Sieglinde und fleht ihre Schwestern an, sie vor dem rasenden Wotan, der sie verfolge, zu schützen. Sieglinde bittet Brünnhilde, ihr den Tod zu geben, doch als die Walküre ihr offenbart, dass sie Siegmunds Sohn unter dem Herzen trage, der zum größten aller Helden geschaffen sei, erwacht neuer Lebenswille in ihr (»O hehrestes Wunder«). Brünnhilde überreicht ihr die Stücke des von Wotan zerschlagenen Schwerts Siegmunds, mit denen Sieglinde flieht. Dann stellt sich Brünnhilde dem Zorn ihres Vaters. Sein Urteilsspruch ist streng: Sie soll nicht mehr Walküre sein, aus dem Kreis der Götter verbannt werden, in tiefen Schlaf versinken und die Frau des ersten Mannes sein, der sie am Wege findet und weckt. Entsetzt fliehen die Walküren vor Wotans schrecklichem Spruch; Brünnhilde erinnert Wotan mit bewegenden Worten daran, dass sie nur seinen ursprünglichen Willen erfüllen wollte. Nun mildert Wotan seinen Spruch. Ein ungeheures Feuer soll die Stätte ihres Schlafs umgeben und nur ein furchtloser Held wird sie zur Frau gewinnen können. Gerührt nimmt Wotan von seinem Lieblingskind Abschied (»Leb wohl, du kühnes herrliches Kind«), dann bettet er Brünnhilde zum Schlaf und beschwört Loge, der einen Feuerring um die Stätte legt. Schmerzerfüllt blickt Wotan zurück, dann entschwindet er durch das Flammenmeer.

 


Harenberg Kulturführer OperMit freundlicher Genehmigung entnommen aus:

© Harenberg Kulturführer Oper,
5. völlig neu bearbeitete Auflage,
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus