Diskurs 2023 – Wagner-Maschinen

Im Schaffen von Richard Wagner gingen technische und ästhetische Innovation oft Hand in Hand. Bis in die Details der Theater-Maschinerie vertiefte sich der Gesamtkunstwerker. Bis heute kann er sich als einziger Komponist der Musikgeschichte rühmen, dass ein Patent über einen Bühnenvorhang seinen Namen trägt. Um die WAGNER-MASCHINE geht es bei Diskurs Bayreuth in Begegnungen zwischen Künstlerinnen und Künstlern, Forscherinnen und Forschern und Publikum auf dem Grünen Hügel. Welche Innovationen hat die Geschichte der Bayreuther Festspiele hervorgebracht? Welche Vorstellungen hatte Wagner selbst von einem innovativen Theater? Welche Perspektiven bieten Technologien wie Augmented Reality? Welche ethischen und ästhetischen Folgen hat die Nutzung solcher Technologien? Wie werden sie von Komponist:innen heute eingesetzt? Welche Voraussetzungen benötigt die Maschine „Mensch“, um die Herausforderungen einer Wagner-Partitur zu realisieren?

Mit: Markus Poschner, Jay Scheib, Nathalie Stutzmann, Georg Zeppenfeld
Johanna Dombois, Jochen Hörisch, Gundula Kreuzer, Moritz Lobeck, Kai Hinrich Müller, Brigitta Muntendorf, Wolfgang Struck, Øyvind Torvund

Konzeption und Moderation: Patrick Hahn, Marie Luise Maintz

5. + 6. August 2023
10-14 Uhr
Festspielhaus, Probebühne 4
Eintritt frei

Das Programm

5. August 2023

10:00 Uhr
Archaik und Hightech. Komponist im Zeitalter der Medienrevolutionen
Jochen Hörisch

11:00 Uhr
Wagner singen. Wie man selbst zum Anderen wird – und welche Rolle das Orchester dabei spielt
Nathalie Stutzmann und Georg Zeppenfeld

12:30 Uhr
Sounding Bodies. Von der Teilbarkeit des Unteilbaren
Brigitta Muntendorf

O Wunder! Wie man das Heiligste visualisiert
Jay Scheib

13:30 Uhr
Maschine im Licht. Noch ein grüner Hügel und seine Medien
Moritz Lobeck

6. August 2023

10:00 Uhr
Unmögliche Klänge. Von Gralsglocken und Darmsaiten
Kai-Hinrich Müller

Der Abgrund als Mischpult. Der Dirigent im Maschinenraum
Markus Poschner

11:30 Uhr
Uninszenierbar? Von Szenenanweisungen und der Geschichte des Spezialeffekts
Wolfgang Struck

Auge, Vorhang, Brille. Von den alten Medien in den Neuen Medien
Johanna Dombois

12:45 Uhr
Eine Dampfmaschine. Bühnenillusionen aus dem Kessel
Gundula Kreuzer

13:30 Uhr
Nur nicht so fertig. Plans for future operas
Øyvind Torvund

Themen und Teilnehmer

5. August 2023

10:00 Uhr
Archaik und Hightech. Komponist im Zeitalter der Medienrevolutionen
Prof. Dr. Jochen Hörisch, Universität Mannheim

Das 19. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Medienrevolutionen: Richard Wagner erlebt das Aufkommen der Fotografie und der Tonaufzeichnung. Im Medium Theater scheint er in vieler Hinsicht das Kino vorwegzunehmen, das erst zwölf Jahre nach seinem Tod erfunden wurde. Der Medientheoretiker und treue Wagnerianer Jochen Hörisch interessiert sich für die Spannungen in Wagners Wirken: zwischen erfundener Archaik und ersehnter Hochtechnologie, zwischen Ingenium und Ingenieurskunst.

11:00 Uhr
Wagner singen. Wie man selbst zum Anderen wird – und welche Rolle das Orchester dabei spielt
Nathalie Stutzmann und Georg Zeppenfeld

Wagner-Partien stellen ganz besondere Herausforderungen an Sänger, technisch wie gestalterisch. Wie gelingt es, auf der Bühne eine andere Identität herzustellen? Was gehört technisch dazu? Und was darüber hinaus? Georg Zeppenfeld berichtet von den ganz realen Freuden und Nöten im Kampf mit Bühnennebel, blendenden Scheinwerfern und schweißtreibenden Kostümen. 
In Wagners Musik scheint das Orchester oft mehr zu wissen, als die Figuren auf der Bühne. Wie das Orchester bei Wagner zum Erzähler wird, beleuchtet Nathalie Stutzmann im Gespräch.

12:30 Uhr
Sounding Bodies. Von der Teilbarkeit des Unteilbaren
Prof. Brigitta Muntendorf, Hochschule für Musik und Tanz Köln

In ihren Kompositionen nutzt Brigitta Muntendorf Künstliche Intelligenz, um Stimmen virtuell oder synthetisch zu klonen. Lässt sich eine Stimme, in allen Kulturen Ausdruck von Identität, überhaupt künstlich reproduzieren? Und was bedeutet es, wenn das ginge? Was ist künstlerisch interessant daran? Vom schmalen Grat zwischen Fiktion und Deepfake.

O Wunder! Wie man das Heiligste visualisiert
Prof. Jay Scheib, Massachusetts Institute of Technology

Jay Scheib ist Regisseur und Medienkünstler. Er inszeniert Parsifal mit der „Augmented Reality“-Technologie. Wie verändert sich das Inszenieren unter Einbeziehung der „unendlichen Möglichkeiten“ der neuen Maschinen? Welche Herausforderungen entstehen durch den Einsatz der neuen Technologien? Welche Chancen bietet sie künftig? Welche Barrieren müssen noch abgebaut werden?

13:30 Uhr
Maschine im Licht. Noch ein grüner Hügel und seine Medien
Moritz Lobeck, Dresden

Auch in Dresden gibt es ein Festspielhaus auf einem Grünen Hügel, 1911 errichtet in Dresden-Hellerau, einer Gartenstadt. Den Theatersaal gestaltete der Reformer Adolphe Appia: Einen Raum mit fließender Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum, ohne Guckkastenbühne, aber mit modernster Lichttechnologie. Moritz Lobeck ist Programmleiter in Hellerau, wo der Einsatz neuer Technologien seit vielen Jahren gang und gäbe ist. Wohin zieht es die experimentelle Musiktheaterszene? Ein Gespräch über Medien und Moden und Aufführungen ganz ohne Vorhang.

6. August 2023

10:00 Uhr
Unmögliche Klänge. Von Gralsglocken und Darmsaiten
PD Dr. Kai-Hinrich Müller, Hochschule für Musik Köln

Auch als Komponist wollte Richard Wagner sich von den Begrenzungen des Instrumentariums seiner Zeit nicht einhegen lassen und regte immer wieder Neuerfindungen an, unter denen das Gralsklavier der Firma Steingraeber wohl das bekannteste ist. Im Laufe der letzten 150 Jahre hat sich das Instrumentarium weiterentwickelt. Welche Folgen hatte dies für die Wagner-Interpretation und insbesondere für den Wagner-Gesang? Wie hat Wagner seine eigene Musik gehört? Fragen, über die der Kölner Musikwissenschaftler Kai-Hinrich Müller forscht.

Der Abgrund als Mischpult. Der Dirigent im Maschinenraum
Markus Poschner, Chefdirigent Bruckner Orchester Linz, Sinfonieorchester Basel, Orchestra della Svizzera italiana

Ist das Wagner-Orchester wie eine PA von Pink Floyd, wie der Medientheoretiker Friedrich Kittler einmal mutmaßte? Tristan-Dirigent Markus Poschner ermöglicht den Blick in sein Mischpult, erläutert, welche Regler er bedienen muss, um diese Anlage so richtig aufdrehen zu können und wie Wagner das getuned hat, um damit die Grenzen der Zeitlicheit aufzuheben.

11:30 Uhr
Uninszenierbar? Von Szenenanweisungen und der Geschichte des Spezialeffekts
Prof. Dr. Wolfgang Struck, Universität Erfurt

Seit jeher werden im Theater Maschinen eingesetzt, um Überraschungseffekte und Magie zu erzeugen, das scheinbar Unmögliche zu realisieren. Wolfgang Struck forscht über die Kunst der spektakulären Spezialeffekte, mit denen das Publikum in den Bann gezogen wird. Zugleich ist er fasziniert von „unmöglichen“ Entwürfen der Autoren. Was, wenn durch neue Technologien nun „alles“ möglich wird?

Auge, Vorhang, Brille. Von den alten Medien in den Neuen Medien
Dr. Johanna Dombois, Robert Schumann Hochschule Düsseldorf

Nicht-Linearität, Interaktivität, Biofeedback, Parallelweltlichkeit und Projektionstechnologie, Simulation und immanente Selbstreferenz: In ihren Arbeiten über Richard Wagner und seine Medien hat die Autorin Johanna Dombois vielfach gezeigt, wie Richard Wagner in seinem Schaffen nach neuen Formen des Sehens, Hörens und Fühlens gesucht – und neue Schnittstellen hierfür gefunden hat. Als Maschinenstürmerin reflektiert sie den Einsatz neuer Medien auf der Opernbühne so kritisch, wie sie diese für Inszenierungen fruchtbar macht. Sie begann 1999, mit virtuellen, interaktiven und alten neuen Medien (etwa der Laterna Magica, Argandleuchten, Vorhangzügen) für die Opernbühne zu experimentieren. 2009 legte sie eine Inszenierung des Rheingold-Vorspiels vor (Ring-Studie 01), in der sie die online Computerspiel-Plattform SecondLife® als Inszenierungsmaterial einsetzte. Ein Gespräch über Wohl und Wehe der „Medienwechsel“.

12:45 Uhr
Eine Dampfmaschine. Bühnenillusionen aus dem Kessel
Prof. Dr. Gundula Kreuzer, Yale University, New Haven

Richard Wagner wollte die Schlote der modernen Metropolen hinter sich lassen, als er sich auf den Grünen Hügel zurückzog. Seine Bühnenideen verwirklichte er hingegen mit Hilfe von zwei Dampflokomotiven. Die Musikwissenschaftlerin Gundula Kreuzer eröffnet einen historischen Blick auf das Wagner-Theater.

13:30 Uhr
Nur nicht so fertig. Plans for future operas
Øyvind Torvund

Wie sieht die Kunst der Zukunft aus? Jedes Kunstwerk birgt schon in sich eine Antwort darauf. Aber will man sich wirklich so festlegen? In seiner Werkreihe “Plans” präsentiert der Komponist Øyvind Torvund im Wechselspiel von Skizzen und musikalischer Realisierung Pläne für Stücke, die in ihrer fertigen Unfertigkeit utopisches Potenzial haben.

Leseliste

Archäologie der Spezialeffekte.
Herausgegeben von Natascha Adamowsky und Nicola Gess, München 2017

Richard Wagner und seine Medien. Für eine kritische Praxis des Musiktheaters.
Johanna Dombois und Richard Klein, Stuttgart 2012

Weibes Wonne und Wert. Richard Wagners Theorie-Theater.
Jochen Hörisch, Berlin 2015

Curtain, Gong, Steam: Wagnerian Technologies of Nineteenth-Century Opera.
Gundula Kreuzer, University of California 2018

Theatermaschinen – Maschinentheater. Von Mechaniken, Machinationen und Spektakeln.
Herausgegeben von Bettine Menke und Wolfgang Struck, Bielefeld 2022

Wagner-Lesarten. Bände 1-3.
Herausgegeben von Kai Hinrich Müller, Köln 2019-2022
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-343518