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Von einem Schmuckstück namens Opernaufführung

Von den Einzelproben bis zur Bühnenorchesterprobe

Der dritte Aufführungszyklus bei den Festspielen ist angebrochen und die Aufführungen laufen reibungslos. In der fast achtwöchigen Probenzeit werden die Grundlagen dafür geschaffen, nicht nur bei der Neuinszenierung, sondern auch bei den Wiederaufnahmen. Von den ersten Proben auf den Probebühnen über die Bühnenproben mit Klavier und die Orchestersitzproben bis hin zu den Bühnenorchesterproben wird im Vorfeld der Festspiele an den Produktionen gefeilt: an Fragmenten von Musik, Gesang, Szene, an Bühnenbild und Maske sowie an den technischen Abläufen. Im Laufe des Prozesses fügen sich die unterschiedlichen Aspekte zum Gesamtkunstwerk Musikdrama zusammen.
Eine Opernproduktion gleicht im Entstehen einem Schmuckstück: Jeder einzelne Stein, jede Fassung, wird einzeln möglichst gut vorbereitet. Jetzt muss alles zusammengesetzt und aufeinander abgestimmt werden, damit die einzelnen Teile auch im Ensemble optimal zur Geltung kommen. Während jedoch an einem Schmuckstück noch ausgiebig nachgebessert werden kann, bleibt bei der Oper nur eine begrenzte Probenzeit: bis zur jeweiligen Premiere.

Alle Stränge fließen erstmals bei den Bühnenorchesterproben auf der Bühne zusammen mit Orchester und allem Drum und Dran. Sie sind die letzte Chance, das Erarbeitete vor der öffentlichen Generalprobe zu überprüfen. Jedem Akt werden hier drei bis vier Stunden gewidmet. Viele Details werden erst im Scheinwerferlicht und „in Aktion“ sichtbar. Dies gilt beispielsweise für die Kostüme: Bei einer Solistin ist die Hose noch zu groß – sie rutscht ständig und behindert sie beim Singen und Spielen. Bei einem Solisten, der eine neue Rolle singt, sieht das Kostüm wiederum fantastisch aus und sitzt wie angegossen…  nur kann er sich nicht seiner Rolle entsprechend bewegen. Nicht nur bei den Neuinszenierungen gilt: Was als ideale Lösung für Kostüm, Perücke und Maske in der Theorie erarbeitet wurde, erweist sich in der Praxis der Aufführung als ungeeignet und muss angepasst werden. Denn die Sängerinnen und Sänger müssen nun singen und sich bewegen. Gelegentlich sind Kostüm und Maske auch eine Frage des Typs. So kann es schon einmal passieren, dass eine neu besetzte Figur in der Probe für den Akt I eine Perücke trug, die dann bereits in der Probe für Akt II wieder durch die normale Haarpracht „ersetzt“ wird – weil das Gesamtbild nicht mehr stimmte.

Auch für den musikalischen Feinschliff gibt es erst jetzt Gelegenheit: Ein Bayreuth-Debütant, der zum ersten Mal mit dem Orchester im Graben singt, hat noch Probleme mit der ungewohnten Akustik des Festspielhauses. In diesem einmaligen Gebäude mit seinem überdeckelten Orchestergraben und dem hölzernen, durch die Saalgesamtkonstruktion gebildeten Resonanzkörper können (und müssen) die Sänger oft leiser singen als weithin üblich. Das Orchester ist hier weniger dominant, die Stimme wird gewissermaßen über den Orchesterklang in den Zuschauerraum getragen. Wenn ein Sänger in einer sonst üblichen Lautstärke singt, zumal im vorderen Bereich der Bühne, hört es sich hier an, als schreie er. Die Dirigenten wiederum, die das Jahr über in „normalen“ Orchestergräben und Konzertsälen dirigiert haben, müssen sich an die Bayreuth-typische Akustik gewöhnen. Durch den fast abgeschlossenen Graben, der den Klang zuerst auf die Bühne und dann ins Auditorium gibt, gelten auch für das Zusammenspiel im Orchester besondere Regeln. Vieles bereiten die Dirigenten in den Orchestersitzproben, die mit Solisten, aber ohne Chor im Restaurant, dem provisorischen Orchesterprobensaal des Festspielhauses, stattfinden, zwar theoretisch vor. Wie es dann aber im Zuschauerraum klingt (zumal mit dem Chor), können sie nur mithilfe ihrer Assistenten in den Bühnenorchesterproben überprüfen. Denn im Graben hört der Dirigent vom Gesang auf der Bühne – anders als in den meisten anderen Gräben – so gut wie nichts. Er muss sich allein auf die Ansagen seiner im Zuschauerraum sitzenden Assistenten verlassen.

Für die Regisseure, die für die Wiederaufnahme mit ihren Teams vor Ort sind, bietet die Probenzeit ebenfalls Möglichkeiten: Im Sinne der „Werkstatt Bayreuth“ erhalten sie jedes Jahr Gelegenheit, ihre Arbeit zu überprüfen und Änderungen vorzunehmen, wenn sie dies für notwendig erachten. Manch eine Neubesetzung bringt neue Ideen mit sich, oder einfach nur Änderungen bei Kostüm und Maske. Erst bei den Bühnenorchesterproben kann das Regieteam wirklich überprüfen, ob die Übergänge zwischen den Szenen, die einzeln mit den alten und neuen Solisten geprobt wurden, stimmen. Ob nicht nur alle alten, sondern auch die 25 neuen Mitglieder des Festspielchors und die Statisten die Choreografie im Bühnenraum beherrschen. Und ob alle beim großen Umzug im 1. Akt Lohengrin schnell genug aus ihren Rattenkostüme kommen und die Haken dafür finden, damit diese in den Bühnenhimmel aufsteigen können. Ob das Zusammenspiel zwischen alten und neuen Solisten, Chor sowie Statisten zur Musik funktioniert…

Die Probenzeit eines Aktes in der Bühnenorchesterprobe besteht in der Regel aus einem Durchlauf und anschließenden Korrekturen. Es gibt eine Vielzahl von Facetten zu beachten. Dafür sind Mitwirkende aus allen Bereichen der Produktion anwesend: Regie, Kostüm, Maske, Technik, Video, Bühnenbild, Dramaturgie, Licht, Chor sowie zahlreiche Assistenten. Alle Details müssen in kürzester Zeit aufeinander abgestimmt werden. Dabei hilft die relativ flexible Korrekturzeit, wobei hier die Musikalische Leitung den Ton angibt. Was auch immer bei Technik, Personenregie oder Gesang im Durchlauf mit der Musik nicht optimal gelaufen ist, wird im Anschluss gezielt aufgegriffen und bearbeitet. Details, die Regie und Technik betreffen müssen im Anschluss in der Diskussion „trocken“ poliert werden. Damit später in den Aufführungen jede Facette glänzen kann.

Bei den Bühnenorchesterproben entstehen übrigens auch die Produktionsfotos für die Programmhefte und die Pressearbeit. Wegen der wechselnden Besetzungen und den Veränderungen an den Produktionen werden in jeder Festspielsaison neue Fotos benötigt. Es ist die einzige Gelegenheit für unseren Produktionsfotografen Enrico Nawrath, Fotos zu machen, denn in der Generalprobe ist der Zuschauerraum dann voll besetzt.

© Bayreuther Festspiele / Andrea C.  Röber